Freitag, 28. März 2008

Ein paar Fragen zu Tibet

Es ist wieder eine Woche vergangen und wir wissen immer noch nicht wirklich mehr zu den Vorgängen in Tibet. Was Webaktivisten aller Couleur nicht davon abhält "Free Tibet!" zu rufen oder aber Tibet zu chinesischem Herzland zu erklären. Der Olympiaboykott wird auch immer wieder hochgebracht. Ich möchte hier ein paar Fragen aufwerfen zur Haltung Beteiligter und Unbeteiligter, insbesondere der "Westler" und den dahinterstehenden Prinzipien. Nun, ich möchte das Geschehene sicher nicht verharmlosen, zwischen 20 und 150 Menschen haben ihr Leben verloren und jeder von ihnen ist einer zu viel, aber ich werde hier nicht China kritisieren, das haben andere schon besser und ausführlicher getan.
Denn nicht hinterfragen muss man die Absichten der Chinesischen Seite (den Status Quo aufrechterhalten) und dass die Methoden dazu nicht nur Propaganda aus der Mottenkiste sondern auch brutalstes Durchgreifen beinhalten, ist ebenfalls klar.
Bei den Exiltibetern gibt es welche, die einen unabhänigen Staat Tibet fordern (in welcher Form und mit welchem Territorium ist offen) und andere, darunter der Dalai Lama, die "mehr Autonomie" fordern.
Der Rest der Welt fordert, dass China mit dem Dalai Lama verhandelt (dies ist richtig und China würde sich damit auch einen Gefallen tun) und dazu eine Menge nicht so spezifischer Forderungen zu den Themen Religionsfreiheit und weitere Menschenrechte, aber auch ein unabhängiges Tibet taucht hier gelegentlich auf.
Hier zu alledem ein paar Fragen, die meist unter den Teppich gekehrt werden

  • Was ist eigentlich Tibet - die Chinesische Provinz dieses Namens, die Gebiete mit tibetischer Bevölkerungsmehrheit (beinhalten Teile von Sichuan und Gansu, in Lhasa gibt es aber andrerseits unterdessen mehr Han als Tibeter), die historische Ausdehnung eines unabhängigen Tibets (zu welcher Zeit?) oder gar eine religiöse Definition?.
  • Bei einer Unabhängigkeit oder auch verstärkter Autonomie, was geschieht mit den Han in Tibet? Dass grosse ethnische Spannungen vorhanden sind haben ja gerade die letzten Wochen gezeigt.
  • Was zeichnet die Tibeter gegenüber anderen ethnischen oder religiösen Minderheiten in China aus? Weshalb fordert niemand ein unabhängiges Xinjiang (Muslimisch-Uigurisches Gebiet)? Könnte das daran liegen, dass dem Westen die religiösen Freiheiten von Muslimen weniger wert sind als diejenigen der Buddhisten? Wie viele Leute haben wohl die Minarett-Verbots Initiative unterschrieben und gleichzeitig ein Buch vom Dalai Lama auf dem Nachttisch? Und wenn wir schon dabei sind: Wieso ist es viel das grössere Problem, dass sich die tibetischen Buddhisten nicht zum Dalai Lama bekennen dürfen, als dass sich die Chinesischen Katholiken nicht zum Papst bekennen dürfen? Gerade in Fragen, die an die Grundwerte westlicher Zivilisation rühren, müssen wir sehr vorsichtig sein, das Knuddel-Image des Dalai Lama über den etwas weniger lockeren Ratzi zu stellen. Beide sind sie die anerkannten Oberhäupter einer Religion, beide wurden sie mit Methoden erwählt, die man objektiv nicht nachvollziehen kann.
  • Viele Leute wünschen sich scheinbar ein "freies" Tibet unter der Führung des Dalai Lama - aber kann man als aufgeklärter Westler eine Theokratie wirklich wollen? Wie ist das mit der Nachfolgeregelung? Der Fall des Pantschen Lama ist nicht der erste, wo man sich nicht ganz einig ist, wer denn die Reinkarnation von wem ist?
  • Ich persönlich bin ein strikter Gegener von Religion als Motivation für einen Staat; Iran, aber auch Israel zeigen Probleme dieser Idee auf. (Das war ganz bewusst keine Frage.)
  • Was ist eigentlich mit den Tibetern in Tibet (nicht-Mönche auf dem Land)? Das wir uns im Westen Tibet gerne als Disneyland wie in "Sieben Jahre in Tibet" erhalten möchten, ist ja nett. Ich kann mir aber schwer vorstellen, dass die Tibeter sich allesamt für die nächsten hundert Generationen als Yakhirten sehen (hier kann ich irren, aber gefragt haben noch nicht viele). Was die Chinesen nun unzweifelhaft haben, ist einen Erfolgsausweis bezüglich wirtschaftlicher Entwicklung.

Nun, ich hoffe mit diesen Fragen ein wenig zum Hinterfragen der so "selbstverständlichen" westlichen Positionen angeregt zu haben. Denn gerade wenn wir Europäer die Moralkeuele schwingen, müssen wir uns unserer Prinzipien sicher sein. Und hier meine ich eben gerade nicht, dass wir wegen der Kreuzzüge oder der Inquisition oder dem 2. Weltkrieg keine moralische Authorität hätten. Ich sage auch nicht, dass in Asien alles anders ist, denn Menschen sind Menschen. Grundwerte können nicht relativ sein, gerade drum sind sie Grundwerte. Wenn wir aus den Katastrophen der Europäischen Geschichte etwas gelernt haben, und nicht nur glauben, sondern wissen, dass die Todesstrafe falsch ist, dass Folter unter keinen Umständen zulässig ist, dass Pressefreiheit ein sehr hohes Gut ist oder dass Kirche und Staat zu trennen sind, so müssen wir auch immer mit gleichem Nachdruck dafür einstehen, ob jetzt China, die USA, Russland oder Zimbabwe, Buddhisten, Muslime, Juden oder Christen betroffen sind.

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