Freitag, 8. Januar 2010

Realitätsverweigerung

So, es ist wieder mal soweit: Ich sehe mich getrieben, das wohlige Gebiet schöner Photos aus China zu verlassen und mich stattdessen in die Niederungen der Schweizer Politik zu begeben. Und leider geht es wieder mal um die SVP. Nebenher auch um die Tatsache, dass extreme politische Strömungen aller Art scheinbar immer antiintellektuell werden und Teile der Realität komplett ausblenden (man denke etwa an China unter Mao oder die USA unter Bush dem zweiten).
Nun, die SVP der Stadt Zürich hat scheinbar zu wenig Feindbilder (die Linken, die Netten, die Muslime, Feministinnen, Frau Mauch, Kosovo-Albaner, Bundesrat Leuenberger, Sozialschmarotzer und die BDP sind nicht genug...), darum geht es jetzt auch gegen die Deutschen in der Schweiz. Die haben eigentlich nichts böses getan, sondern helfen der Schweiz unter anderem darüber hinweg dass es wegen dem unsinnigen Numerus Clausus viel zu wenig hausgemachte Mediziner gibt.
Bei der SVP heisst das dann: "Deutscher Filz macht sich breit: Denn Deutsche stellen vor allem Deutsche an - an der Uni und in den Spitälern".
Daraufhin haben 200 Professoren von Uni und ETH ein Inserat unterschrieben, in dem sie diese Aussage folgendermassen kontern:
"Als Professorinnen und Professoren der Universität Zürich und der ETH Zürich können wir dies nicht akzeptieren. Wir sind stolz auf den internationalen Ruf unserer Hochschulen und froh, dass exzellente Studierende und herausragende Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland und vielen anderen Ländern bei uns tätig sind. Forschung und Lehre sind international, die Stärke unserer Hochschulen gründet gerade darauf, dies ernst zu nehmen. Wer sich abschottet, hat verloren.

Die rassistische und fremdenfeindliche Rhetorik, Ideologie und Politik der SVP torpediert die Ausbildung unserer Jugend, setzt unsere Zukunft aufs Spiel, vergiftet unsere Gesellschaft und gefährdet das, was unsere Stadt und unser Land lebenswert macht: die freundschaftliche Nachbarschaft unterschiedlicher Kulturen."

Würde ich auch so unterschreiben (bin natürlich kein Professor...).

Die Antworten der SVP darauf schlagen dem Fass endgültig den Boden aus; es handle sich bei den Professoren um eine "selbsternannte classe elitaire", gar es seinen "keine nahmhaften Lehrstuhlinhaber" darunter. Und hält am "Deutschenproblem" fest, beruft sich dabei aber ausschliesslich auf Hörensagen ohne Quellenangabe. 200 ETH und Uniprofessoren (von denen ich einige persönlich kenne und sowohl menschlich als auch fachlich schätzen gelernt habe) die Qualifikation abzusprechen und damit einem gewichtigen Teil der intellektuellen Elite Zürichs (ja, Universitätsprofessoren sind intellektuelle Elite) zu verunglimpfen kann ich nicht durchgehen lassen. Ich fürchte, dass dies nur der Anfang einer Kampagne ist, einen Graben zwischen "Intelligenz" und "Volk" aufzubauen (ähnlich der Taktik der Republikaner in den USA und auch eine ungeheuerliche Beleidigung für das Volk) um nur noch diejenigen Wahrheiten akzeptieren zu müssen, die ins eigene Weltbild passen (wie dies die SVP etwa in der Klimapolitik bereits tut).
Ich hoffe sehr, dass die grosse Mehrheit der Schweizer weiterhin Entscheide auf Fakten und den Einsichten von Experten, die ein tiefes Verständnis einer Materie haben baut und nicht einfach blind der SVP glaubt. Es gilt, die Traditionen der Aufklärung, Offenheit und Liberalismus gegen den Gartenzaun-Stumpfsinn der SVP und ihren Alleinanspruch, das "Volk" zu vertreten zu verteidigen. Und wie die Minarettinitiative beweist, ist die Lage ernst, sehr, sehr ernst.

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