Montag, 29. Juni 2009

Grosser Bahnhof

Übers Wochenende war ich mit Freunden in Pingyao (dazu später mehr). Weil Pingyao nicht extrem weit weg ist, sind wir da mit dem Nachtzug hingefahren (mein erstes Mal im Soft Sleeper, bisher hatte ich immer nur Tickets für den Hard Sleeper gekriegt...). Der Zug fuhr diesmal von Beijing West weg. Da ich etwas früher und meine Reisekameraden wegen dem Beijinger Feierabendverkehr deutlich später als ausgemacht am Bahnhof eintrafen, hatte ich viel Zeit, auf em Bahnhofsplatz zu photographieren. Auf den Bahnhofsplätzen der grossen Städte warten die Chinesischen Wanderarbeiter auf den Arbeitgeber in der Stadt, den Zug oder das Ticket für den Zug wieder nach Hause und manchmal auch einfach auf bessere Zeiten. Hier treffen Land und Stadt, Mittelalter und 21. Jahrhundert, Hoffnung und Verzweiflung aufeinander. Ein paar Bilder (mehr hier).

Waiting at Beijing West

Waiting at Beijing West (by niklausberger)

Waiting at Beijing West (by niklausberger)

Donnerstag, 25. Juni 2009

Gehirn abgeschaltet

Es ist heiss hier in Beijing, sehr heiss (hab ich glaub ich auch schon mal gesagt). Es muss irgend was thermodynamisches sein, wenn die Aussentemperatur über die Körpertemperatur steigt, dann ist mein Gehirn irgendwie nur noch begrenzt funktional. Das macht ja eigentlich nichts, denn der moderne Mensch hat js das Internet und Google zur Verfügung und muss nur noch in seltenen Ausnahmefällen selbst denken. Nur leider tut jetzt Google nicht mehr hier in China (zumindest die nichtchinesischen Versionen), und das fühlt sich echt an wie eine schwere Teilamnesie - das ganze Wissen ist noch da, ich komm aber nicht mehr dazu.
Die Sperre scheint übrigens im Zusammenhang zu stehen mit einer grossangelegten Kampagne, Pornographie im Internet auszurotten (Don Quichotte und Sysiphos builden ein "work team") - hierzu ein paar weise Worte von China Daily, dem Englischen Sprachrohr von Staat und Partei:
"Under the regulation, which will come into effect on July 1, websites that link to sex-related studies and research can be accessed only by health professionals and researchers." - man beachte auch, dass es nicht um die Sites mit der Information geht, sondern um die, die darauf verlinken (Google?) . "Google's English-language website google.com was not accessible for more than two hours last night on the Chinese mainland, days after the government ordered the US search engine to suspend part of its service to cut access to pornographic links." - bei mir gehts immer noch nicht... Und was meint das Sprachrohr der Partei zu den Ursachen? "There was no official comment." - Genau...
Und es ist ja so wichtig, dass die ganzen unschuldigen Chinesen vom Internet nicht korrumpiert werden - hier wo man in jedem Coiffeursalon gefragt wird, ob "small towel" oder "big towel"...

Mittwoch, 24. Juni 2009

... sieht alles

Tiananmen (by niklausberger)

Dienstag, 23. Juni 2009

Heiraten!

Ich lebe ja nun schon bald zwei Jahre in China und bin immer noch nicht unter die Haube gekommen. Ein Zustand, den meine sämtlichen Chinesischen Bekanntschaften sehr beunruhigend finden; hier so in etwa in eine Standardkonversation, kann auch im Taxi oder in der U-Bahn mit Wildfremden vorkommen:
(nach der Frage woher ich denn komme, und weshalb ich in Beijing bin...)
- Wie alt bist Du denn?
- 31
- Bist Du verheiratet?
- Nein
(Blankes Entsetzen beschleicht den Fragesteller)
- Magst Du denn keine Chinesischen Frauen? Die können im Fall super kochen! Und sind auch sonst sehr gute Ehefrauen!
Hier wird das Gespräch dann schwierig - ich will ja nicht die Chinesischen Frauen, oder (noch viel schlimmer) die Chinesische Esskultur herabwürdigen - "noch nicht die Richtige getroffen" lässt in einer vollgepackten U-Bahn keiner gelten, "ich bin ja noch jung" wird als Hinweis auf Homosexualität verstanden; oft muss ich an diesem Punkt mangelnde Sprachkentnisse vorschieben, um ohne grösssere interkulturellen Schaden abzuwenden.
Um diesem unangenehmen Zustand abzuhelfen, bin ich am Sonntag in den Zhongshan (Sun Yat-Sen) Park gefahren, um mich am Heiratsmarkt mal umzuschauen. Sowas gibt es nämlich nicht nur in Nanjing (wo es deutlich organisierter ist...) sondern jeden Sonntag auch in Beijing.
Ich bin ja eigentlich auch der falsche um da hinzugehen; eigentlich läuft das so, dass die Eltern des/der Heiratswilligen sich mit einem Zettel mit Kurzbiographie da in den Park setzen, andere Eltern schauen sich die Zettel an und wenn man das Gefühl hat es passt, werden dann auch Photos ausgepackt. Ist auch das Aussehen in Ordnung (klein, dunkle Haare, dunkle Augen...) dürfen sich die Jungen dann vielleicht auch mal kennenlernen. Soweit zumindest das Prinzip. Bei den im Zhongshan Park Ausgeschriebenen handelt es sich offensichtlich oft um - na ja - schwierige Fälle: öfters sind sie sogar noch älter als ich; den Zetteln sieht man an, dass sie schon mehr als einen Sonntag draussen verbracht haben und es gibt auch welche, die mit dem PC geschrieben wurden, das Alter aber jedes Jahr neu von Hand hinzugefügt wird. Auch haben viele der Eltern die Hoffnung so gut wie aufgegeben, geniessen aber die netten Gespräche mit Gleichgesinnten und den schönen Park jeden Sonntag. Meine Traumfrau war auf jeden Fall nicht ausgeschrieben (oder ich konnte es nicht lesen...) und ich habe den Park verlassen, wie ich gekommen bin: unverheiratet.
Ich hab mir jetzt nochmals bis Herbst Zeit gegeben, selbst was zu finden; wenns bis dann nichts wird, kommen meine Eltern zu Besuch - die können dann mit einem Zettel und meinen Photos mal einen Sonntag im Park verbringen...

Wedding Market (by niklausberger)

Eine Auswahl von Inseraten

Wedding Market (by niklausberger)

Wie oft wurde das Alter wohl schon hochgesetzt?

Wedding Market (by niklausberger)

Experten (für was auch immer)

Wedding Market (by niklausberger)

Photos (kritisch) begutachten

Wedding Market (by niklausberger)

und noch die letzten Details zum Ehevertrag aushandeln...

Und hier gibts eine Diashow, wo sich in den Heiratsmarkt noch eine paar Blumen reingemischt haben (ich musste gelegentlich bösen Blicken ausweichen...).

Montag, 22. Juni 2009

Wetterbericht...

Und ich hab jetzt schon den Eindruck, es sei ein bisschen zu warm...

Wochenendende

Schon wieder geht ein Wochenende zu Ende, diesmal gabs Oper, Heiratsmarkt, Blumen im Park und einiges mehr. Und heiss ist es immer noch, schon fast zu heiss zum bloggen. Drum hier erstmal zwei Bilder und Allen einen guten Start in die neue Woche.

Flower (by niklausberger)

Flower (by niklausberger)

Mittwoch, 17. Juni 2009

Sommerschlaf

Es ist heiss und feucht in Beijing. Sehr heiss und feucht. So sehr, dass ich am liebsten einfach nur neben der Klimaanlage liegen und verbotene Bücher lesen möchte. Mit Sommerschlaf ist aber nichts; die Arbeit wird irgendwie von Tag zu Tag mehr (macht aber auch mehr und mehr Spass) und na ja, ich hab sogar so etwas wie ein Sozialleben. Der Blog leidet darunter ein bisschen - es ist ruhig, sowohl, was neue Einträge angeht als auch was die Leserzahlen betrifft. Könnte auch daran liegen, das Blogspot im Gegensatz zu Flickr in China immer noch gesperrt ist.
Wie dem auch sei, es gibt viel zu berichten und ich versuch mal einen Anfang zu machen mit dem letzten Wochenende - die Dandong-Ji'an Reise von vor drei Wochen muss noch ein bisschen warten.
Am Wochenende also hab ich/bin ich/war ich:
  • am Westtor der verbotenen Stadt mitten unter fischenden alten Männern verbotene Literatur gelesen
  • vom zweitschönsten (aber dem schönsten mit Weisswein im angebot) Punkt der Stadt aus den Sonnenuntergang genossen
  • verzweifelt nach einer nicht ausgebuchten Dachterrasse fürs Abendessen gesucht; ohne Erfolg - wir assen am Ende ebenerdig draussen am See
  • in einer Jazzbar wegen der Dachterasse auf den Jazz verzichtet
  • über verbotene Bücher diskutiert
  • vor sechs aufgestanden
  • über 300 km Taxi gefahren
  • viel über Flüchtlinge in China gelernt
  • ein neues, schönes Mauerstück bewandert
  • ein Eichhörnchen gesehen
  • die Eltern getroffen (aber die "falschen")
  • in einem Laden, der gleichzeitig ein Schalfzimmer und ein Schweinestall war, eingekauft
  • in einemnetten Badeesee geschwommen
  • die Anwaltskanzlei Baker&McKenzie Sklavenhalter genannt
  • über 300 Photos geschossen
  • sieben gebratene Fische gegessen (nicht ganz alleine)
  • eine private Dachterasse besichtigt
  • ausführich über die Normal- (Abfluss in der der Dusche gegenüberliegenden Ecke) und Luxus-Ausführung (Abfluss in der selben Ecke wie die Dusche) des Chinesischen Badezimmers philosophiert
  • in Chinesischen Rotwein investiert
  • die Investition bereut
  • den Wein trotzdem getrunken
  • Schneckengolf gespielt
  • laut ein Semisonic-Lied mit abgewandeltem Text gesungen
  • eine wunderschöne neue Bar (natürlich mit Dachterasse und Liveband) entdeckt
  • mich über die Kundschaft da (Chinesische Prostituierte der höheren Preisklasse und Kunden gemischten Ursprungs mittlerer Preis- aber höherer Altersklasse) aufgeregt
  • Mit Kreditkarte bezahlt, weil der Computer kein Wechselgeld hergeben wollte
  • im Taxi diverse Podcasts gehört
  • im Starbucks vor lauter Durst einen Grapefruitsaft zum Espresso getrunken
  • gelernt, was eine 聊天站 ist
  • einen Spaziergang durch Hutongs gemacht
  • von der Lufthansa ein Tasse geschenkt gekriegt
  • zwei Chinesische und drei Deutsche Bands gehört (plus eine internationale Jazz-Band)
  • zum Doro Pesch Fan konvertiert
  • gewünscht, ich hätt nen Helm wie die Torpedo Boyz
  • zugesehen, wie das Goethe-Institut eine Verlosung manipuliert
  • Werbebmaterial um Mitternacht in ein Taxi verladen
  • eine super gute Zeit (und ein ganz normales Wochenende) gehabt
Lieber Leser, ich hoffe, Du verstehst, dass ich da nicht auch noch bloggen konnte... Drum hier jetzt einfach so ein paar Photos von der Mauer - die Diashow gibts hier...

Greenery (by niklausberger)

Great Wall (by niklausberger)

Red Flower (by niklausberger)

Butterfly (by niklausberger)

Great Wall (by niklausberger)

Donnerstag, 11. Juni 2009

Tiger im Tank

In letzter Zeit habe ich bei uns auf dem Campus des öfteren Fahrzeuge mit Militär-Nummernschildern (das sind die weissen mit vorn einem roten Hanzi, das entweder die Militärregion oder aber Heer (军), Marine (海) oder Luftwaffe (空) andeutet, gefolgt von einer schwarzen Nummer) gesehen. Hier in der Gegend sind die natürlicherweise häufig, da vieles irgendwie militärisch angehaucht ist. Auf dem Campus selbst aber waren sie bis vor kurzem eher selten. Die plötzliche Häufung hat in mir ja schon Befürchtungen geweckt, irgendwas an unserer Forschung sei nicht ganz Zivil, bis ich heute Mittag dem wahren Grund auf die Schliche kam...
Bei mir im Hof stand ein älterer Dienstwagen des Heeres, auf den Randstein geparkt, so dass die rechte Seite mit dem Tankdeckel etwas tiefer stand als die linke. Aus besagtem Tankdeckel führte ein Saugheber (a.k.a. Schlauch) in eine Kanister. Etwas entfernt sass rauchend der Offizier. Nun stellt sich die Frage, was daran wohl am schockierendsten ist:
  • Das hier im grossen Stil dem Staat "Dienstbenzin" geklaut wird?
  • Das jemand beim hantieren mit Benzin (in meinem Hof!) raucht?
  • Das er glaubt, dass das Schiefstellen des Autos mit dem Tank nach unten die Saugheberei beschleunigt (wenn schon müsste man den Tank höher lagern)?

Sonntag, 7. Juni 2009

Es muss nicht immer die Übersetzung sein...

Beispiele für elegantes Chinglish habe ich hier ja schon des öfteren vorgestellt. Mit fortschreitenden Chinesischkentnissen kann ich unterdessen gelegentlich auch das Original betrachten; überraschenderweise ist nicht notwendigerweise die Übersetzung schlecht; manchmal ist auch das Original etwas grenzwertig... (Gesehen an einem Bauzaun an der Gongti Beilu, einer der Häufungspunkte für Ausländer in der Stadt).


Der Anfang noch halbwegs harmlos...

Nochmals der Slogan, ist auch eine schöne Vorlage für ein Tatoo

Busy mit Frühstücken - so lässt sichs leben - doch was gibts zum Frühstück?


Aha.
(Das Chinesische heisst tatsächlich "in der einen Sekunde besoffen, in der nächsten im Meeting").
Prost!

Dienstag, 2. Juni 2009

Literaturtips aus gegebenem Anlass

Die Tage, an denen sich das, wovon niemand spricht zum 20. Mal jährt, stehen vor der Tür. Nach Blogspot ist nun auch Flickr (und für mich nicht so wichtig, auch Twitter) geblockt. Und so wird das traurige Jubiläum wohl in aller Stille begangen werden. Nicht in der andächtigen Stille, die dem Analss angemessen wäre, sondern in einer unheimlichen, künstlich verhängten Stille. Statt über die Geschehnisse nachzudenken, auch um daraus zu lernen, herrscht Denkverbot.
Glücklicherweise kann ich (und wer dies liest) gewisse Mauern überwinden. Wer mehr wissen will, dem kann ich folgende Bücher empfehlen:
  • Jan Wong: Red China Blues (Anchor Books, 1996); Die Autorin, eine Kanada-Chinesin zog als überzeugte Maoistin während der Kulturrevolution nach China, wurde dort gründlich vom Maoismus geheilt. 1989 war sie als Korrespondentin einer kanadischen Zeitung in Beijing und hat die Geschenisse auf dem Platz hautnah miterlebt. Das Buch beschreibt die zerstörerische Dynamik hin zum Extremismus unter den Studenten und die Schrecken der letzen Nacht, aber auch die Nachwirkungen in der Chinesischen Gesellschaft. (In ausgesuchten Buchläden in China auf Englisch erhältlich).
  • Ma Jian: Beijing Coma (Chatto and Windus, 2008); Literarische Aufarbeitung der Tragödie aus der Perspektive eines Studenten erzählt, der seit der Schicksalsnacht im Koma liegt. Kraftvolle Sprache, wilde Metaphern und unendlich viele Sprünge zwischen Erzählzeiten und -ebenen machen Beijing Coma zu einer ebenso anstrengenden wie verstörenden Lektüre. Die lebendigen Charaktere und viele Details der Erzählung, die sich mit Jan Wong's decken machen mich glauben, dass der Autor (der unterdessen im Exil lebt) damals auch mit dabei war. (In ausgesuchten Buchläden in China auf Englisch erhältlich).
  • Und dann gibts ganz neu noch das hier. Zeigt die andere Seite, die wir ja sonst nie zu sehen bekommen. Und ist auf absehbare Zeit hier wohl nicht erhältlich - drum hab ich es auch noch nicht gelesen, soll aber sehr interessant sein.
Ich hoffe, den einen oder anderen regt das ein bisschen zum Nachdenken an - so wie ich oft spät Nachts, auf der Fahrt mit dem Taxi nach Hause, entlang eben jener Strasse, etwas melancholisch werde - an manchen Stellen auf dem Weg läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Die Geschichte liegt wie ein zäher Nebel über Beijing; still, aber immer präsent.